Die Macht des Zinseszins und warum Vermögenssteuern dringend notwendig sind

Vor mehr als 2000 Jahren, im Jahr 0, herrschte der römische Kaiser Augustus über ein großes Imperium im Mittelmeerraum, welches u.a. die heutigen Krisenstaaten Italien, Griechenland und Spanien umfasste. Stellen wir uns einmal vor, wir hätten Kaiser Augustus einen großartigen Dienst erfüllt und der Kaiser hätte uns in seiner maximalen Großzügigkeit und Güte eine Goldmünze im Wert von 1 Aureus geschenkt.

Nehmen wir an, sie hätten dieses Geld klug investiert und hätten mit ihrer Investition eine Rendite von 2% p.a. erreicht. Klingt langweilig? Nun ja, zunächst einmal ist die Kapitalentwicklung in den ersten Jahren auch eher bescheiden. Stellen wir uns vor, Sie hätte ihre Investition geschützt und sie wäre auch nicht durch den von Kaiser Nero verursachten Großbrand verlorengegangen, so hätte sich der Wert auf ca. 3,5 Aureus erhöht. Wir vererben nun dieses Vermögen jeweils an unsere Kinder, so dass das Vermögen in der Familie bleibt.

Im Jahre 800 zur Kaiserkrönung von Karl dem Großen hätten ihre Familie bereits ein unglaubliches Vermögen von ca. 7,5 Mio Aureus angehäuft. Nicht schlecht!

Lassen wir das Mittelalter ausklingen und schauen wir ihren Besitz zum Zeitpunkt der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus an, dann hätte ihre Familie bereit 6,78 Billionen Aureus besessen und würde sehr vermutlich zu den reichsten Familien auf diesem Planeten gehören. Zur Zeiten der Französischen Revolution hätten wir nun auf jeden Fall eine starke Privatarmee benötigt, um unser auf inzwischen 2,43 Billiarden (eine Eins mit 15 Nullen) Aureus gewachsenes Vermögen zu schützen.

Heute wäre das Vermögen auf die unglaubliche Summe von über 200 Billiarden Aureus angewachsen. Vermutlich könnten wir mit dieser Summe die komplette Erde mit samt allen materiellen Werten, die sich auf diesem Planeten befinden, erwerben.

Die Geschichte hat gezeigt, dass es nicht so gekommen ist, und die reichsten Menschen unseres Planeten "nur" über ein Vermögen von ca. 50 Mrd USD verfügen. Durch bedeutende Umwälzungen, wie Revolutionen, Kriege und Naturkatastrophen auf der einen Seite, und Währungsreformen auf der anderen Seite kam es stets dazu, dass der Wohlstand auf unserem Planeten zumindest teilweise stark reduziert wurde (bevor wieder eine kräftige Wachstumsphase eintreten konnte) oder umverteilt wurde. Die Geschichte zeigt aber auch, dass wir neben den Menschen, die durch ihr eigenes Lebenswerk ein hohes Vermögen angehäuft haben, von Kaufleuten wie den Albrecht-Brüdern, oder Pionieren wie Steve Jobs, Bill Gates oder Mark Zuckerberg, unter den reichsten Menschen dieses Planeten erstaunlich viele Familiendynastien finden, die in den letzten 250 Jahren sukzessive ihr Vermögen aufgebaut haben.

Seit dem zweiten Weltkrieg haben wir nun in den führenden Industriestaaten den glücklichen Zustand von mehr als 65 Jahren ohne Kriege und Zerstörung. Selbst die Währungssysteme waren in dieser Zeit (abgesehen von einer in weiten Teilen moderaten Inflation) stabil, und so ist es sehr gut nachvollziehbar, dass sich die Schere zwischen arm und reich immer weiter öffnet. Während ein immer größerer Teil der Bevölkerung "von der Hand in den Mund" lebt und weder Geld zum Sparen noch zum Investieren besitzt, wurden die wohlhabenden Familien, die dazu in der Lage waren, immer reicher. Da nun die reichsten 10% der Bevölkerung mehr als 50% der Vermögenswerte angesammelt haben, und die unteren 50% weniger als 10% der Vermögenswerte besitzen, wirkt sich das stark auf den privaten Konsum und somit die Basis für das Wirtschaftswachstum aus. Ein Millionär, der bereits 100 Mio Euro besitzt, wird bei einem zusätzlichen Einkommen von 5 Millionen eher zurückhaltend sein (weil er schon alles, was er sich wünscht, besitzt), während die ärmsten 50% der Bevölkerung gern zusätzlich konsumieren würden, dies schlichtweg aber nicht können. Diese mangelnde Nachfrage wirkt sich dann direkt auf die Nachfrage nach Rohstoffen aus, weil schlichtweg weniger Häuser, weniger Autos, weniger Kühlschränke, Fernseher usw. verkauft werden können. In der Automobilbranche rechnet man für das Jahr 2013 mit dem schwächsten Absatz in Europa seit 1993.

Welche Wege aus diesem Dilemma gibt es nun? Zum einen sehen wir an den Anleihemärkten, dass die Verzinsung für halbwegs sichere Staatsanleihen inzwischen unterhalb der Inflationsrate liegt und hier eine reale Geldwertvernichtung erfolgt. Dies führt zwar nicht direkt zu einer Erhöhung des Konsums, aber zumindest könnte dies die Sparneigung der Bürger reduzieren und zu einem Vorziehen von ohnehin geplanten Konsumausgaben führen. Ein weiterer Schritt wäre eine Anhebung des Lohnniveaus, sowohl über einen gesetzlichen Mindestlohn als auch über deutlich höhere Lohnabschlüsse als in der Vergangenheit, die in einer realen Kaufkrafterhöhung münden.

Aus meiner Sicht der größte Hebel (aufgrund der Anhäufung von großen Vermögenswerten auf eine relativ begrenzte Elite) liegt in der Einführung einer Vermögenssteuer und höheren Erbschaftssteuern, doch hier gibt es seit Jahren massiven Widerstand gegen eine Einführung. Paradox in einer Demokratie, in der 90% der Bürger den Reichtum von 10% der Bürger finanzieren.

Ich sehe die aktuelle Schuldenkrise der EU als Chance, hier auf europäischer Ebene etwas zu bewegen, ähnlich wie vor mehr als 220 Jahren die Französische Revolution hier in weiten Teilen von Europa einen Stein ins Rollen gebracht hat. Gelingt es nicht, hier die Ausdünnung der Mittelschicht zu stoppen und die Schere wieder zu schließen, dann können wir bald von "Krise als Normalzustand" ausgehen und uns auf eine dauerhaft reduzierte Rohstoffnachfrage einstellen.

Ihr Manuel Giesen