Energiewende in den Entwicklungsländern

Über die Energiewende in den großen Industrienationen wie Deutschland ist in den vergangenen Wochen und Monaten bereits jede Menge berichtet worden. Genauso über die Veränderungen, die diese Energiewende mit sich bringen wird, über die dringende Notwendigkeit des Ausbaus der Stromnetze, den damit verbundenen Bedarf an Rohstoffen für die neuen Wind- und Solarkraftanlagen sowie das Leitungssystem.

Solar-, Wind- und Windkraft sind ja keine ganz neuen Energieformen, es gab schon vor mehr langer Zeit Windmühlen oder von Bächen angetriebene Wassermühlen, mit denen das Getreide gemahlen wurde. Die Nutzung von Solarkraft, beispielsweise in den Salinen rund um das Mittelmeer ist ebenfalls schon seit Jahrhunderten bekannt. Auch die Möglichkeit, mit Hilfe der Sonne Wasser zu erwärmen, ist keine Erkenntnis des 21. Jahrhunderts.

Doch wie verhält sich die Situation in den ärmsten Ländern der Welt? Stellen wir uns ein armes Land vor, das zwischen dem nördlichen und den südlichen Wendekreis der Sonne liegt, nennen wir es Haiti. Haiti liegt in einer Erdbeben gefährdeten Zone an der Grenze zweier tektonischer Platten (zwischen der Karibischen Platte und der Nordamerikanischen Platte), zusätzlich liegt Haiti in einer Region des Golfs von Mexiko, der regelmäßig von Hurrikanes getroffen wird. Nicht nur die Sturme und die damit verbundenen Flutwellen setzen dem Land kräftig zu, auch die begleitenden Unwetter mit starkem Regen sorgen für regelmäßige Erdrutsche und Verwüstungen. Haiti ist arm. Vielerorts leben die Menschen in äußerst bescheidenen Behausungen, gekocht wird auf einem Holzkohlefeuer, anstelle von elektrischem Licht werden die Räume notdürftig mit Petroleumlampen beleuchtet. Diese Art zu kochen und für Licht zu sorgen ist jedoch nicht auf Haiti begrenzt, es ist die Art, wie mehr als 2 Mrd. arme Menschen in der Welt tagtäglich leben. Petroleum gibt es in jedem noch so abgelegenen Dorf (auch wenn der Brennstoff oftmals aus dem Ausland importiert werden muss), gleiches gilt für Holzkohle. Zur Herstellung der Holzkohle werden die Bäume auf Haiti gerodet, wodurch sich die Probleme bezüglich der Bodenerosion durch Wind und starke Regenfälle nur nochmals verschlimmern.

Die Lösung, anstelle von teurem Brennstoff, der dazu noch gesundheitsschädliche Verbrennungsgase erzeugt, das elektrische Licht beispielsweise durch Solarlampen (ähnlich den Solarlampen, die wir zur abendlichen Beleuchtung unserer Gärten verwenden) zu ersetzen, scheint naheliegend. Eine gute Solar-Lampe mit entsprechender Batterie und LED-Leuchtmitteln (die auch noch eine deutlich besseres Licht ergeben als die Petroleumlampen) kostet nicht mehr als 10 USD. Soviel gibt eine durchschnittliche Haitianische Familie in drei Monaten für Petroleum aus, oder umgekehrt, eine solche Investition hätte sich innerhalb von drei Monaten amortisiert. Nun sollte man annehmen, dass ein solches Produkt in einem Land wie Haiti auf ungeheure Nachfrage stoßen sollte und sich damit der Preis möglicherweise nochmals reduzieren ließe, und so rasch die Lebenssituation von Millionen Menschen verbessert werden könnte. Dies ist nicht der Fall. Warum?

Zum einen scheitert es an der Logistik. Die Menschen in Haiti haben nicht die Chance, so eine Lampe einfach über das Internet zu bestellen und nach Hause geliefert zu bekommen. Sie haben noch nicht einmal die Möglichkeit, in eine größere Stadt zu fahren und dort zu einem Elektronik-Großhändler oder in einen Baumarkt zu gehen. Hier ist der Aufbau einer entsprechenden Logistik zwingend erforderlich, bzw. hier gilt es, die Logistikkette der Petroleum und Holzkohle-Verkäufer für die neuen Produkte zu nutzen. Zum anderen scheitert es an der Finanzierung. Obwohl alternative Energien wie eine Solarlampe sich durch extrem niedrige Betriebskosten auszeichnen, muss die Anfangsinvestition von 10 USD gestemmt werden. Für die ärmsten der Armen eine fast unüberwindbare Hürde. Mikrokredite wären hier ein passender Lösungsansatz, im Idealfall verbunden mit der Vertriebsorganisation für die neuen Produkte.

Der Einsatz von erneuerbaren Energien in Entwicklungsländern ist möglich und sinnvoll, und der Bedarf an High-Tech-Materialien wie den Metallen der seltenen Erden, Kupfer, Silber und Lithium könnte hier entsprechend steigen. Die ärmsten Nationen müssen nicht den Umweg von einer dezentralen Energieversorgung über eine zentralisierte Energieversorgung (durch Kohle und Atom) zurück zu einer dezentralen Energieversorgung mit erneuerbaren Energien machen, sondern könnten den Schritt zur zentralen Energieversorgung überspringen. Dazu gilt es jedoch, Vorurteile gegenüber neuen technischen Mitteln zu überwinden und die quasi Monopole der bisherigen Strukturen zu durchbrechen. Es genügt, aus den Fehlern und Fehlentwicklungen der Industrienationen zu lernen, ohne diese Fehler selbst gemacht zu haben. Es bleibt spannend, ob die Entwicklungsländer diese Chancen erkennen oder wie lange sie noch in den aktuellen Strukturen verharren.

Ihr Manuel Giesen