Der Ölpreisverfall und seine Folgen
Der deutliche Absturz des Preises für Rohöl bringt sowohl einige Staaten in eine schwierige finanzielle Lage, als auch viele kleine und mittlere Produzenten an ihre Grenzen.
Staaten wie Venezuela, Algerien, der Iran, aber auch Ecuador oder Russland erwirtschaften einen guten oder zumindest wichtigen Anteil ihres Bruttoinlandproduktes über die Förderung und den Verkauf von Erdöl und Erdgas. Auch die zahlreichen – vor allem in den USA ansässigen – Firmen, die auf den fahrenden Zug des Schieferöl- und Schiefergasbooms aufgesprungen sind, erleben bei zahlreichen Fracking-Projekten ein böses Erwachen. Die gesunkenen Ölpreise stellen ein gravierendes Problem für die Refinanzierung von Krediten oder die Entwicklung neuer Liegenschaften dar, selbst die Aufrechterhaltung des aktuellen Produktionsniveaus wird ohne neue Bohrungen bei den Fracking-Liegenschaften nicht zu bewerkstelligen sein. Im Gegenzug profitieren indes Staaten und Unternehmen, deren Kosten für den Import und Einkauf von Erdöl sinken und damit als indirekte Wachstumsprogramme einen zusätzlichen Schub geben. Als rohstofforientierter Investor bietet der niedrige Ölpreis zahlreiche Möglichkeiten, angefangen von Zertifikaten, die eine Kursentwicklung des Ölpreises abbilden, wobei hier unter Umständen Währungseffekte zu berücksichtigen sind.
Weiterhin können Anleger den deutlichen Kursverlust vieler Junior- und Mid-Tier Produzenten für den Aufbau einer spekulativen Depotposition nutzen, um auf mögliche zukünftige Preissteigerungen von Erdöl und Erdgas zu setzen. Als Alternative zu dieser riskanten Strategie bieten sich derzeit die Anteilsscheine der großen Mineralölkonzerne an. Denn im Vergleich zu aufstrebenden Produzenten mit hohen Erschließungskosten und teilweise überhöhter Kreditfinanzierung zur beschleunigten Erweiterung des eigenen Ausstoßen, besitzen die Großen der Branche sowohl ein umfangreiches Projektportfolio, als auch einen finanziellen Puffer für schwierige Phasen. Zwar müssen auch die 'Majors' ihre Ausgaben für die Suche und Erschließung neuer Vorkommen einschränken oder veräußern Projekte in politisch instabilen Regionen oder mit zu niedriger Rendite, vorläufig bleibt dafür aber die an die Aktionäre auszuschüttende Dividende unangetastet. Der wohl ausschlaggebende Punkt, weshalb die Aktienkurse dieser Unternehmen trotz massivem Preisverfall des Rohstoffes Öl kaum gefallen sind, dürfte an einer weiteren Besonderheit liegen.
Neben der Produktion von Erdöl und Erdgas besitzen zahlreiche der großen Konzerne eigene Raffinerien und Tankstellen. Damit erweitert sich sowohl das Produktspektrum, als auch die Möglichkeit, schwankende Rohstoffpreise über andere Geschäftsbereiche abzupuffern. Denn auch wenn die Preise für Rohöl in den letzten Monaten stark gesunken sind, die Preise für Benzin und Diesel sind nicht in vergleichbarem Umfang gefallen und bieten den Unternehmen so eine relativ stabile Einnahmequelle. Und damit eröffnet sich für die 'Majors' trotz einiger finanzieller Einschnitte die komfortable Situation, ihre Anleger weiterhin mit einer stabilen Dividende für ihre Treue zu belohnen.
Als deutscher Anleger und Autofahrer lohnt es sich deshalb auch, das dichte Tankstellennetz ein wenig genauer anzuschauen. Dass sich hinter Shell der niederländisch-britische Konzern Royal Dutch Shell verbirgt, ist nun keine all zu große Überraschung, auch die französische Total und die österreichische OMV treten hierzulande mit gleichnamigen Tankstellen auf. Etwas schwieriger wird es bei der britischen BP, da der Konzern nur in ausgewählten Standorten als BP auftritt, der Großteil der unternehmenseigenen Tankstellen in Deutschland tritt als Aral auf. Hinter Esso verbirgt sich die US-amerikanische ExxonMobil, der italienische Konzern Eni tritt als Agip auf. Hinter der bekannten Marke Jet steht die US-amerikanische Phillips 66, eine Abspaltung von ConocoPhillips. Als reines Downstream-Unternehmen stellt Phillips 66 für Anleger die Möglichkeit dar, die Exposition auf Kraftstoffe zu erhöhen und die Risiken von Exploration und Förderung aus eigenen Lagerstätten zu umgehen.
Investoren, die sich für diese dividendenstarken Schwergewichte interessieren, sollten jedoch beachten, dass die Aktienkurse dieser Konzerne teilweise auf einem Hoch oder nur wenig davon entfernt notieren. Mögliche Abschreibungen auf Projekte oder eine länger anhaltende Periode niedriger Rohstoffpreise stellen ein nicht zu leugnendes Risiko dar. Auch eine lange Historie in Bezug auf stabile oder sogar steigende Dividendenzahlungen bietet keine Garantie für zukünftige Ausschüttungen in vergleichbaren Größenordnungen.
Doch der Ölhandel bietet Investoren noch weitaus mehr Möglichkeiten als eine Partizipation über große Produzenten, Betreiber von Tankstellen oder meist hochvolatile Explorations- und Juniorunternehmen. Über Zertifikate und themenorientierte Fonds und ETFs können Anleger direkt in den Rohstoff investieren, je nach Art des Finanzproduktes auch mit einer Währungsabsicherung oder einem Fokus auf einzelne Energierohstoffe (Gas, verschiedene Sörten Erdöl etc.). Aktiv verwaltete Fonds ermöglichen zudem das Investment in verschiedene Firmen und Projekte, was eine Abdeckung verschiedener Konzerne, Währungen und auch Länder und Förderregionen bedeutet.
Ähnlich wie die Konzerne, die neben der Förderung von Erdöl mit Raffinerien und Tankstellen eine breite und stabile Position im Markt einnehmen, sollten auch Anleger eine gesunde Streuung ihres Investments in Betracht ziehen und nicht alles auf eine Karte setzen. Man kann sich jedoch sicher sein, dass Rücksetzer im Aktienkurs der genannten Unternehmen von zahlreichen aufmerksam an der Seitenlinie wartenden Investoren herbeigesehnt werden.