Uran: Der Westen will russische Lieferungen ersetzen
Der Westen ist stark abhängig von russischem Uran. Russland ist zwar mit einem jährlichen Abbau von 2.800 t nur der achtgrößte Förderer. Bei angereichertem Uran sieht es aber ganz anders aus. 26 % des in der EU benötigten angereicherten Urans kommen aus Russland. Für die Betreiber sogenannter WWER-Reaktoren ist Russland sogar der einzige Lieferant maßgefertigter sechseckiger Brennstäbe – so berichtete der "Spiegel" im vergangenen Jahr.
Weltweit entfällt sogar rund die Hälfte des Angebots an angereichertem Uran auf Russland. Der weltweit größte Urananreicherer ist der Atomkonzern Rosatom. Das Unternehmen beliefert immer noch fast ein Viertel der 92 amerikanischen Kernreaktoren und Dutzende anderer Anlagen in Europa und Asien.
"Übermäßige Abhängigkeit von Russland bei Kernbrennstoffen"
Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine ist die Brisanz dieser Abhängigkeit deutlich geworden. Uran aus Russland steht auf keiner Sanktionsliste – weil es für den Westen unverzichtbar ist. Pranay Vaddi, Nuklearberater des Weißen Hauses im Nationalen Sicherheitsrat, spricht von "einer übermäßigen Abhängigkeit von Russland bei Kernbrennstoffen"- in Bezug auf die USA und die ganze Welt.
Der jüngste Putsch im Niger – wo auch die russische Söldnergruppe Wagner aktiv ist – verschärft die Situation zusätzlich. In dem Land lagern nicht nur rund 5 % der weltweiten Reserven. Bislang wurde Uran in bedeutender Menge nach Frankreich geliefert.
Die Abhängigkeit von Russland kann schnell akut werden. So halten die meisten Energieversorger nur Brennstoffvorräte für etwa 18 Monate vorrätig. Sollte Russland den Verkauf einstellen, käme es möglicherweise zur Abschaltung von Kraftwerken.
Für den Westen geht es deshalb um den Ausbau der eigenen Anreicherung. Die wesentlichen Impulse dafür kommen aus den USA. Dort betreibt das international tätige Unternehmen Urenco im Bundesstaat New Mexiko nahe der texanischen Grenze ein Werk mit hunderten Zentrifugen. Die Anlage deckt etwa ein Drittel des US-Bedarfs an angereichertem Uran.
Urenco will Produktion in New Mexiko um 15 % steigern
Nun soll die Produktion um 15 % ausgebaut werden. Der Ausbau soll 2027 abgeschlossen sein. Gleichzeitig sollen Urencos Gesellschaften in Europa die Produktion hochfahren. Karen Fili, CEO von Urencos US-Tochtergesellschaft zufolge reicht dies aus, um den russischen Anteil am amerikanischen Uranmarkt abzudecken.
Dan Poneman, ehemaliger stellvertretender US-Energieminister und jetzt CEO von Centrus Energy Corp, widerspricht zumindest im Hinblick auf den Weltmarkt. "Es gibt nicht genug nicht-russische Anreicherung, um die Reaktoren der Welt zu befeuern". Das könne auch der Urenco-Ausbau um 15 % "nicht einmal annähernd" leisten.
US-Präsident Joe Biden hatte im März zusammen mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau ein "Bündnis unter Gleichgesinnten" zur Diversifizierung der Lieferkette angestoßen. Frankreich und Großbritannien sind mittlerweile an Bord. Das Ziel: Russland soll zumindest im westlichen Geschäft mit Kernbrennstoffen keine Rolle mehr spielen.
Urenco ist mit seiner Anreicherungssparte an drei Standorten in Europa vertreten (Gronau in Deutschland, Almelo in den Niederlanden und Capenhurst in England. An den Standorten soll die Produktion nun ausgebaut werden. Die französische Orano SA plant ebenfalls, ihre inländische Anlage zu vergrößern.
Engpässe: Preis für UF6 hat sich verzehnfacht
Der Teufel steckt jedoch im Detail, wie ein Blick in die USA zeigt. In die Zentrifugen wird sogenanntes UF6 – Uranhexafluorid – eingespeist. Die Umwandlung von gemahlenem Uran in UF6 gilt als der größte Engpass im US-amerikanischen Kernbrennstoffkreislauf. In den USA gab es dafür bis 2017 nur eine Anlage – die dann wegen niedriger Preise geschlossen wurde. Die Preise für UF6 verzehnfachten sich seitdem.
Das in Colorado ansässige Unternehmen ConverDyn zieht auch die Wiederinbetriebnahme seiner Konvertierungsanlage in Illinois in Betracht, verlangt dafür aber Garantien. Malcolm Critchley fordert langfristige Verträge. Wer Russland aus dem Markt verdrängen wolle, müsse entsprechende Verpflichtungen eingehen. Die Größenordnung, die dem CEO vorschwebt: Etwa zehn Kunden mit jahrzehntelangen Verträgen.
Die Lieferkette ist bislang also noch in der Schwebe. Rosatom konstatierte vor einigen Monaten, nur einzelne Teile des "Supply Chain Monsters" seien überhaupt funktionsfähig. Auch Dan Poneman, dessen Unternehmen eine 150-Millionen-Dollar-Anlage zur Herstellung eines neuen Uranbrennstofftyps für die nächste Generation von Kernreaktoren entwickelt, rechnet nicht mit schnellen Erfolgen. Bis der Westen weitgehend auf die Lieferungen von Rosatom verzichten könne, dauere es fünf Jahre.