Goldpreis trotzt Rendite-Rallye in den USA
Die Flucht in sichere Häfen ist typischerweise von einem Anstieg des US-Dollar, sinkenden US-Anleiherenditen und einem steigenden Goldpreis geprägt. Der Goldpreis ist tatsächlich gestiegen. Kostete eine Feinunze vor dem Kriegsausbruch in Israel noch 1825 USD, werden heute über 1970 USD gezahlt. Seit Beginn der Ereignisse in Nahost ist der Kurs damit um ca 8% gestiegen.
Flucht in den sicheren Hafen? Bond- und Devisenmarkt sprechen dagegen
Die anderen Symptome des sicheren Hafens bleiben aber aus. So notierte der Euro/US-Dollar heute nur unwesentlich höher als vor dem Angriff der Hamas. Dasselbe gilt für den US-Dollar Index, der den Wert des Greenback im Vergleich zu verschiedenen anderen Währungen abbildet.
Insbesondere die Renditen von US-Staatsanleihen zeigen gar keine Symptome einer Flucht in Richtung Sicherheit. Am Freitag, den 6. Oktober lag die Rendite bei 4,80 %. Nach dem ereignisreichen Wochenende ging es kurzzeitig in Richtung 4,56 %. Danach aber stiegen die Renditen wieder deutlich. Im heutigen Tagesverlauf wurde die Marke von 4,95 % über mehrere Stunden hinweg überschritten – 5 % Rendite sind in Reichweite.
Sorgen um hohe Staatsschulden: Die Anleiherichter sind zurück
Verschiedene Kommentatoren sehen in Zweifeln an der Schuldentragfähigkeit der USA die Ursache für den Anstieg der Renditen. Von einer Rückkehr der Bondwächter spricht gar die "Welt", die an die große Bondmarktkrise von 1994 erinnert. Damals kam es zu einem weltweiten Ausverkauf von Anleihen. Die Renditen stiegen in den USA und Deutschland um 2 Prozentpunkte, in Italien sogar um 3,8 Prozentpunkte.
Die Politik musste reagieren. In den USA wurden Sparprogramme verabschiedet. Erinnert wird in diesem Zusammenhang auch an die britische Kurzzeit-Premierministerin List Truss, die im September des letzten Jahres Steuersenkungen ankündigte, ohne einen Plan zur Gegenfinanzierung vorzulegen. Prompt schossen die Renditen britischer Staatsanleihen in die Höhe. Das Resultat ist bekannt: Truss musste zurücktreten und bleibt als Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit überhaupt in Erinnerung.
Die Anleihewächter – gemeint sind mit der Charakterisierung wohl institutionelle Investoren, die durch den Verkauf von Staatsanleihen ihre Kritik am Zustand der Staatshaushalte Nachdruck verleihen möchten – liegen sicherlich nicht falsch. Je länger die Phase hoher Zinsen andauert, desto größer ist der Anteil der bestehenden Staatsschulden, der zum neuen Zinsniveau verzinst werden muss.
Müsste die gesamte Staatsschuld mit dem aktuellen Zins für zehnjährige Staatsanleihen verzinst werden, würden sich die Zinszahlungen Deutschlands verdreifachen. In Italien drohte dann ein Anstieg um 74 %, in den USA um 57 %. So rechnet es jedenfalls die Welt vor. Wenn die Anleiherenditen gar wieder das durchschnittliche Niveau der frühen 1990 er Jahre erreichten, müssten 27 % italienischen 29 % der US-amerikanischen Staatsausgaben für Zinsen aufgewendet werden.
Zinsen verlieren in der Goldgleichung an Gewicht
Dass der Goldpreis – der allen Modellen zufolge bei steigen Anleiherenditen eigentlich nachgeben sollte – steigt, ist also nicht nur auf die Krise in Nahost zurückzuführen. Offenbar wächst unter Marktteilnehmern die Sorge, dass die Zentralbanken bald zur Rettung ihrer Staaten intervenieren müssen – und damit die Inflationsbekämpfung Vergangenheit ist.
Schon seit einiger Zeit lässt sich beobachten, dass der Zins als Preis des Geldes für den Preis für Gold weniger wichtig ist als früher. Darauf hatten unter anderem die beiden Bloomberg-Analysten Eddie Spence und Yvonne Yue Li hingewiesen, die eine auffällige Veränderung der Korrelation zwischen Goldpreis und Zins konstatierten. Das Fazit: Als die Realzinsen das letzte Mal so hoch waren, war Gold nur halb so teuer.
Auch viele andere Investoren halten Gold gemessen an den herkömmlichen Modellen beim aktuellen Zinsniveau eigentlich für zu teuer. Bei Anleiherenditen von 5 % sind Preise von 1300 USD pro Feinunze nicht unrealistisch. Tatsächlich aber könnte der Goldpreis kurzfristig über 2000 USD ansteigen. Das glaubt jedenfalls Ryan McIntyre, Senior Portfolio Manager bei Sprott Asset Management, für den Fall eine Eskalation des geopolitischen Konflikts.